1906 – 1944


(Textauszug aus: Schum, Klaus: Die Berliner Gesellschaft für Geschichte der Naturwissenschaften und Medizin von 1906 – 1944. Unveröffentliche Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Freien Universität Berlin, 1967. S.  5-9, 11-18)

Gründung

„Den Anstoß zur Gründung einer Berliner Gesellschaft für Geschichte der Naturwissenschaften und Medizin gab Julius PAGEL im Jahre 1905 . Auf Anregung Sudhoffs wollte er in Berlin eine Ortsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Natur-wissenschaften bilden und fragte deshalb bei Julius Hirschberg, Max Salomon, Wolf Becher und anderen an. Da er jedoch keine Zustimmung fand, stellte er seine Bemühungen ein. Ein Besuch von Karl Sudhoff in Berlin im März 1906 veranlaßte das Berliner Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften Paul Diergart, einen geselligen Abend mit Freunden der Geschichte der Naturwissenschaften und Medizin, sowie der Technik, zu veranstalten. Er hatte den Plan, an diesem Abend die Gründung einer Vereinigung der Freunde der Fachgeschichte in Berlin zum gemeinsamen Arbeiten und Gedankenaustausch vorzuschlagen und sandte Einladungsschreiben an eine größere Zahl Berliner Fachhistoriker, deren Namen er vorwiegend aus Zeitschriftenveröffentlichungen kannte. Am 12. März 1906 um 19.15 Uhr versammelten sich 24 Herren im Parlamentszimmer des Restaurants „Heidelberger“, Friedrichstraße 149. Im Laufe des Abends wurde der Beschluß gefaßt, sich häufiger, und zwar zur Pflege fachgeschichtlicher Studien, zu treffen. Zur vorläufigen Leitung der Angelegenheit wurde ein Vorbereitungsausseide bestehend aus den Herren Karl von Buchka, Julius Pagel und Paul Diergart, gebildet.

In einer weiteren Sitzung am 21. April 1906, zu der die drei genannten Herren eingeladen hatten, wurde vor den 11 anwesenden Teilnehmern die Gründung der „Berliner Gesellschaft für Geschichte der Naturwissenschaften und Medizin“ beschlossen. Daß es nicht zur Bildung einer Ortsgruppe der Deutschen Gesellschaft gekommen war, lag daran, daß deren Beitrag zu hoch war, um mit einer größeren Mitgliederzahl rechnen zu können.

Am 18. Mai 1905 konstituierte sich die Berliner Gesellschaft mit über 40 Mitgliedern. Es wurde über die Satzungen beraten und der Vorstand gewählt, bestehend aus den Herren von Buchka (Vors.), Julius Pagel (stellv. Vors.), Paul Diergart (Schriftführer), Iwan Bloch (stellv. Schriftführer) und Max Wegscheider (Schatzmeister). Die erste wissenschaftliche Sitzung der neugegründeten Gesellschaft fand am 15. Juni 1906 statt. Am 23. November 1906 wurden die folgenden Satzungen der Gesellschaft auf einer außerordentlichen Geschäftssitzung angenommen (…). Die Eintragung ins Amtsregister erfolgte am 2. Januar 1907. So war endlich ein schon seit längerer Zeit gehegter Plan vieler Anhänger der Fachgeschichte im damaligen Berlin verwirklicht worden. Dazu hatte neben den Anregungen, die von Sudhoff und Pagel ausgingen, im wesentlichen die Initiative Paul DIERGARTS beigetragen, so daß diesem die Ehre zukommt, der Hauptbegründer der Gesellschaft gewesen zu sein. Leider war die Arbeit Paul Diergarts in der Gesellschaft nur von kurzer Dauer, da er schon 1909 Berlin verließ. Jedoch hat die Berliner Gesellschaft den persönlichen Kontakt mit ihrem Begründer und Förderer nie verloren und seiner bei Jubiläumsfeiern der Gesellschaft Im er gedacht. Am 5. Juni 1931 wurde er zum Ehrenmitglied ernannt.

Der Gründungsvorsitzende Karl v. Buchka war bei seiner Wahl 60 Jahre alt. Er war seit 10 Jahren in Berlin tätig und ist nicht zuletzt durch seine literarische Tätigkeit hervorgetreten, u.a. war er Mitherausgeber des „Archivs für Geschichte der Naturwissenschaft und Technik“. Er leitete 9 Jahre lang die Geschicke der Berliner Gesellschaft und hat selbst wiederholt eigene fachgeschichtliche Beiträge in den Sitzungen vorgelegt. Karl von Buchka war nicht nur ein gründlicher Wissenschaftler, sondern auch ein persönlich sehr liebenswürdiger Mensch

mit ruhigem und freundlichem Wesen . Er verstarb im Februar 017 auf einer Dienstreise in Basel.

In den Jahren 1907 und 1909 hatte Julius Pagel als Vorsitzender der Berliner Gesellschaft die Amtszeit Karl v. Buchkas zweimal unterbrochen. Pagel war seit 1902 nichtbeamteter außerordentlicher Professor für Geschichte der Medizin an der Friedrich-Wilhelms-Universität. Da der Lehrstuhl fachfremd besetzt war bzw. ihm vorenthalten worden war, lebte er von seiner Praxis, die er im Norden Berlin seit 1876 ausübte. Daneben hat er

sich medizinisch-historischen Arbeiten gewidmet, beteiligte sich aktiv an der Standespolitik, beschäftigte sich mit bibliographischen Studien und als Rezensent. Besonders bekannt wurde seine Mitarbeit am ‚Handbuch für Geschichte der Medizin‘ und am ‚Biographischen Lexikon‘. Dieser vielbeschäftigte Mann hat nicht nur als Vorsitzender die Interessen der Berliner Gesellschaft wahrgenommen, er hat sich durch zahlreiche Vorträge, Diskussionsbemerkungen und sonstige aktive Beteiligung auch an ihrem wissenschaftlichen Leben als eines ihrer aktivsten Mitglieder beteiligt.

Nach dem Tode Karl von Buchkas wurde im Februar 1917 Heinrich Boruttau zum neuen Vorsitzenden gewählt. Boruttau war schon seit 1913 stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft gewesen. Er war Physiologe und durch zahlreiche Arbeiten auf seinem Fachgebiet bekannt geworden. Er hat Lehr- und Handbuchartikel sowie eine große Zahl von Zeitschriftenaufsätzen veröffentlicht. Er war auch ständiger Mitarbeiter der ‚Deutschen Medizinischen Wochenschrift‘. Daneben aber interessierte ihn die Philosophie, die allgemeine und die Medizingeschichte. Die Ergebnisse seiner Arbeiten hat er vor der Gesellschaft vorgetragen und auch im ‚Archiv für Geschichte der Medizin‘  veröffentlicht. Auch als akademischer Lehrer hat er Fragen der Wissenschaftsgeschichte behandelt (…).

Zwei Jahre später übernahm Boruttau dann aber erneut den Vorsitz; doch schon im folgenden Jahr verstarb er im Alter von nur 54 Jahren. An seine Stelle trat nun für sechs Jahre Julius Schuster. Mit ihm kam ein Vertreter der Biologiegeschichte an die Spitze der Gesellschaft. Später ist er noch lange Jahre stellvertretender Vorsitzender gewesen.

Im Jahre 1929 übernahm Richard Paasch, ein angesehener und beliebter Arzt, für ein Jahr das Amt des Vorsitzenden (…). Unter seinen Veröffentlichungen haben nicht nur zahlreiche Zeitschriftenaufsätze, sondern auch seine medizinhistorischen Romane viel Zustimmung und Beachtung gefunden.

Richard Paasch wurde als Vorsitzender von Georg Lockemann abgelöst. Lockemann gehörte schon seit 20 Jahren der Gesellschaft an, hatte regen Anteil an ihrer wissenschaftlichen Arbeit genommen und auch schon einmal für 2 Jahre den Vorsitz innegehabt, als Boruttau vorübergehend sein Amt abgegeben hatte. Lockmann, verdient um die Geschichte der Naturwissenschaften, legte großen Wert darauf, jedem Jubiläum der Wissenschaftsgeschichte mit einer Gedenkfeier gerecht zu werden.

Im Jahre 1932 wurde Paul Diepgen zum Vorsitzenden der Gesellschaft gewählt und blieb an ihrer Spitze bis zu ihrem Erlöschen im Jahre 1944. Diepgen war Direktor des neugegründeten Institutes für Geschichte der Medizin, das von ihm schon in wenigen Jahren zu einer bedeutenden Forschungs- und Lehrstätte ausgebaut wurde. Paul Diepgen erwarb sich schon nach kurzer Zeit eine dominierende Stellung in der Gesellschaft. Sein umfassendes Wissen und seine Persönlichkeit verschafften ihm die uneingeschränkte Anerkennung der Mitglieder. Aber auch von den Arbeiten seiner Institutsmitarbeiter profitierte die Gesellschaft. Diepgen hielt selbst im Laufe der Jahre zahlreiche Vorträge und hat manches Mitglied der Gesellschaft zu eigenen wissenschaftlichen Arbeiten angeregt.

So erlebte die Gesellschaft unter seiner Leitung neuen Aufschwung und entfaltete eine lebhafte Tätigkeit. Dabei führte die Teilnahme der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Studenten des neuen Berliner Institutes für Geschichte der Medizin an den Sitzungen der Gesellschaft auch zu einer fühlbaren Verjüngung.

Zu erwähnen bleibt noch, daß im Jahre 1919 Julius Hirschberg und im Jahre 1931 Karl Sudhoff zu Ehrenvorsitzenden der Gesellschaft gewählt wurden.

Wie schon berichtet, traten der Gesellschaft bei ihrer Gründung am 18. Mai 1906 40 Mitglieder bei. Am 15. Juni 1906, als die erste wissenschaftliche Sitzung abgehalten wurde, zählte sie bereits 72 Mitglieder. Durch die Bemühungen des Vorstandes, besonders Paul Diergarts und Albert Neuburgers erhöhte sich diese Zahl bis Anfang 1907 auf 132.

‚über die Hälfte der Mitglieder sind Naturwissenschaftler und nahezu 1/3 Mediziner, den Rest bilden Vertreter von Hilfswissenschaften und des Verlages. Etwa 2/3 der Mitglieder wohnen in Berlin und Vororten, 1/3 außerhalb. Nahezu die Hälfte der Mitglieder sind als Hochschullehrer tätig.‘

Im Beginn des Jahres 1908 betrug die Zahl der Mitglieder 159 (…) 1911 betrug die Mitgliederzahl 132. Diese Zahl veränderte sich in den folgenden 3 Jahren nur wenig. In den Jahren des Ersten Weltkrieges sank sie jedoch erheblich und betrug 1920 nur noch 85. Einige Mitglieder waren gefallen, andere hatten ihre Zugehörigkeit aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse oder des Überwiegens anderer Interessen aufgegeben. (…) Im Jahre 1935 waren es 121, darunter 5 Ehrenmitglieder (Paul Walden, Rostock; Otto Ohmann, Berlin, Richard Paasch, Potsdam; Paul Diergart, Bonn und Julius Ruska, Berlin).“